Der spirituelle Weg

swami sivanandSpirituelle Entwicklung, Teil 16

Der spirituelle Weg ist voller Paradoxien und eine der tiefgehenden Paradoxien ist, auf der einen Seite sind wir jetzt schon vollkommen. „Aham Brahmasmi. Ich bin eins mit Brahman.“ Von daher brauchen wir nichts zu machen, denn wir sind jetzt schon Satchidananda. Wir können also ganz entspannen. Auf der anderen Seite heißt es, es gibt nicht Dringenderes, nichts Wichtigeres und auch letztlich nichts Herausfordernderes, als die Selbstverwirklichung zu erreichen. Und dafür gilt es, wirklich etwas zu tun. Auf der einen Seite brauchen wir nichts zu tun, weil wir jetzt schon vollkommen sind, auf der anderen Seite ist intensives Bemühen notwendig. So wie Patanjali sagt: „Den intensiv Strebenden ist die Verwirklichung nahe.“ Dann sagt er noch: „Das Streben kann sanft, mittelmäßig oder intensiv sein.“ Und aus diesem großen Paradox können wir zum einen auf dem spirituellen Weg ganz entspannen. Wir können kein schlechter Aspirant sein. Es gibt keinen Gott, der sagt: „Du musst dich jetzt entwickeln, sonst stecke ich dich in die Hölle.“ Es gibt jetzt kein negatives Karma, wenn wir nicht ausreichend praktizieren. Allerdings, auf der anderen Seite, das, wonach wir tief im Inneren streben, findet seine Erfüllung nur in der Verwirklichung. Jedes Streben des Menschen kann man zurückführen auf das Streben nach Selbstverwirklichung. Mensch strebt nach Liebe. Die Liebe findet ihre Erfüllung, wenn wir vollständig uneigennützig lieben, und das ist nur möglich in der höchsten Selbstverwirklichung. Der Mensch strebt nach Frieden, mit sich und mit der Umwelt. Das ist nur erreichbar in der Selbstverwirklichung. So viele kleine und größere Wünsche haben die Menschen, kein einzelner Wunsch kann einen zufriedenstellen. Letztlich ist jeder Wunsch Ausdruck davon, dass wir sagen: „So wie ich momentan bin, ist nicht ausreichend. Ich brauche mehr.“ Aber egal, was wir für Mehr dazu fügen, es bleibt immer ungenügend. Wir müssen im Gegenteil wegnehmen, nämlich all unsere Verhaftungen, all unsere Identifikationen, all unsere Vorstellungen. Was dann übrig bleibt, das ist die Vollkommenheit, die wir sind und nach der wir bewusst oder unbewusst streben. Ein weiteres Paradox ist, man sagt, Selbstverwirklichung ist das heroischte Unterfangen, das wir haben können. Also, bedarf einer ganzen Menge. Andererseits, wenn man mal analysiert, was man alles macht, um in der Täuschung und in der Begrenzung zu bleiben von morgens bis abends, wenn wir das nur nicht machen würden, wären wir ganz schnell verwirklicht. Ihr könnt mal überlegen: „Was mache ich heute alles oder was habe ich so alles gemacht, um in der Begrenzung zu sein?“ Wir sorgen für irgendwelche Vorstellungen. Wir sorgen für irgendwelche Wünsche. Wir kümmern uns um irgendwelche Gedanken usw. Von morgens bis abends tun wir alles Mögliche, um nicht verwirklicht zu werden. Eigentlich müssten wir nur damit aufhören und dann wären wir verwirklicht. Deshalb könnte man sagen, eigentlich ist die Verwirklichung das Einfachste von allem, wir brauchen eigentlich nichts zu tun, nur aufhören, uns ständig zu bemühen, in unserer Identifikation zu bleiben. So ein Grund, weshalb Mensch immer wieder nach Anerkennung sucht, nach Bestätigung sucht, nach Lob sucht, jeder Mensch lechzt danach. Warum? Eigentlich weiß er: „Ich bin nicht dieser Körper.“ Also braucht er Bestätigung, dass dieser Körper schön ist und dass er gut ist usw. Eigentlich weiß er: „Ich bin keine Mutter oder Vater.“ Aber damit kann man nicht so leben, also braucht man die Bestätigung: „Du bist eine gute Mutter. Du bist ein guter Vater. Du bist ein guter Partner.“ Eigentlich wissen wir: „Ich bin nicht beschränkt auf die Arbeit.“ Aber wenn wir vor dieser Verwirklichung Angst haben, dann suchen wir nach: „Du bist ein toller Mitarbeiter. Du machst das toll usw.“ Unser Ego braucht ständig Bestätigung, denn in Wahrheit ist Ego nur eine Illusion. Und wenn ihr mal nicht die Anerkennung bekommt, die ihr denkt, die ihr verdient, freut euch, Ego kriegt weniger Futter. Da kann man sich darüber ärgern, da kann man in Depressionen geraten oder mindestens in Niedergeschlagenheit oder man kann sagen: „Aha, tief im Inneren weiß ich, ich bin das und das nicht. Aber ich suche deshalb Bestätigung, ich bekomme sie nicht, das ist doch jetzt eine Möglichkeit, dass ich mich davon löse und frage, wer bin ich? Und erkenne Satchidananda Swarupoham.“ Shakara nennt vier Mittel zur Befreiung.

Fortsetzung folgt –

Dies ist die 96. Folge der unbearbeiteten Niederschrift eines Mitschnitts eines spirituellen Retreats mit Sukadev Bretz im Yoga Vidya Ashram Bad Meinberg. Für die Erläuterung der Sanskrit Ausdrücke kannst du nachschauen im Yoga Wiki. Hier ein paar weiterf´ührende Links:

Umfangreiche Infos zur Yogalehrer Ausbildung

Schreibe einen Kommentar